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Zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge

22. Mrz 2007

Elemente eines weltoffenen Europas: In der wechselvollen und komplexen Geschichte Europas ist deutlich geworden: Europa hat zahlreiche unterschiedliche Wurzeln, war immer multireligiös und ein Ort, an dem sich Menschen begegneten, unterschiedliche Kulturen aufeinander trafen und sich miteinander auseinander setzen mussten. Europa hat nur dann ei…

Einordnung unserer Vorstellungen in das kirchliche bzw. katholische „Milieu“

Legt man die dargestellte Vision eines im vielfältigen Sinne „Offenen Europa“ an gängige Vorstellungen des kirchlichen und besonders des katholischen Milieus an, so erscheint diese einerseits gut kompatibel mit der Vorstellung eines abendländischen Europas im Rahmen einer weltweit denkenden und handelnden Kirche – in der die europäische Provinz eher eine in ihrem Einfluss zurück gehende Erscheinung darstellt -, andererseits aber stößt man bei diesem Vergleich auf tief sitzende Vorbehalte, Europa anders denn als „christliches Europa“ zu akzeptieren. Schon der Verweis auf die jüdischen und muslimischen Quellen europäischer Rechts-, Religions- und Staatstraditionen verunsichert diejenigen, die als entscheidende Quellen Europas die griechische Philosophie, das römische Recht und die christliche Botschaft sehen.

pax christi wendet sich – so auch der pax christi-Kongress 2006 über Europas friedenspolitische und soziale Herausforderungen - grundsätzlich gegen eine solche Engführung, die die historischen Wurzeln und Entwicklungen verkürzt wahrnimmt. Nur durch eine weitere Sicht wird es möglich, die aktuellen Spannungen sowie die nötigen politischen, kulturellen, sozialen und friedenspolitischen Perspektiven ange¬messen entwickeln zu können. (…)

Europa ist mehr als die EU

Europa ist mehr als die EU – diese Erkenntnis setzt sich allmählich nach der Ablehnung des Verfassungsentwurfs in Frankreich und den Niederlanden durch. In Polen wäre sie vermutlich auch abgelehnt worden. Die Verfassung zielte auf eine Kodifizierung von Recht, Wirtschaft und Militär in einem Gebilde, das sich „Europäische Union“ nennt, aber bisher im Wesentlichen nur eine effiziente Wirtschaftsgemeinschaft war. Es wäre also zu fragen, wieso ein Verfassungsentwurf nicht im Rahmen des viel breiteren Europa-Rates entworfen wurde und weiter entwickelt wird. Länder wie die Ukraine fühlen sich seit jeher als europäisch und fragen mit Recht, warum sie nicht in die EU aufgenommen werden. Die Türkei und Weißrussland stehen vor der Tür und fühlen sich „draußen“. Es keimt aber die Einsicht: „Europa und die EU sind eben nicht identisch.“ Diese Einsicht öffnet neue Perspektiven, die durch die Engführung auf den EU-Verfassungs-Entwurf verschüttet wurden.

Gegen eine Festung Europa

pax christi erinnert an die Erste Europäische Ökumenische Versammlung 1989 in Basel, die in ihrem Schlussdokument für das „gemeinsame Haus Europa“ formuliert hat: „In einem gemeinsamen Haus wird das Leben vom Geist der Zusammenarbeit und nicht der Konfrontation bestimmt.“ Als Teil der Einen Welt steht dieses Haus Europa in der Verantwortung, eine menschenwürdige Zukunft und gerechte Teilhabe an den Gütern der Erde für alle zu ermöglichen. Die Opfer der derzeitigen ungerechten Weltwirtschaftsordnung mit ihrer Trennung in Arme und Reiche, in Sieger und Verlierer drängen uns zur Parteinahme für die Opfer und rufen uns in die Verantwortung, diese ungerechten Strukturen zu überwinden und der neoliberalen Globalisierung eine sozial gerechte und menschenwürdige Alternative entgegenzusetzen, in der die gemeinsamen Ressourcen geteilt werden.

Flüchtlinge und Asylbewerber/innen gehören zu den Opfern der ungerechten Verhältnisse in der Einen Welt. (…) Migration ist eine Herausforderung, aber keine Bedrohung. „Das europäische Haus sollte ein offenes Haus sein, ein Ort der Zuflucht und des Schutzes, ein Ort des Willkommens und der Gastfreundlichkeit, wo Gäste nicht diskriminiert, sondern als Mitglieder der Familie behandelt werden.“

Für die Akzeptanz von Verschiedenheit

Die ethnische, sprachliche, kulturelle und religiöse Vielfalt Europas, die Vielfalt unterschiedlicher Erfahrungen, Lebensentwürfe und Biographien ist Ausdruck der Pluralität menschlichen Lebens und damit eine nicht zu ändernde Tatsache.
Diese „Buntheit“ Europas ist keine Bedrohung, sondern eine Chance, die zu gestalten ist. Es geht daher nicht um das Ob, sondern um das Wie von gesellschaftlichem Zusammenleben unterschiedlicher Menschen. In der Begegnung miteinander müssen sowohl Verschiedenheiten als auch Gemeinsamkeiten wahrgenommen und zugelassen werden.

Die Forderung nach einer „Leitkultur“ stellt meist eine Kultur über andere und führt somit zu Ausgrenzung und Grenzziehungen zwischen unterschiedlichen Kulturen. (…)
Stattdessen sind Grenzüberschreitungen zwischen verschiedenen Lebenswegen und Kulturen zu ermöglichen und zu fördern. Notwendig ist eine grundsätzliche Bereitschaft der Gesellschaft, dem Anderen die Möglichkeit zu geben, ohne Angst seine Verschiedenheit zu leben. Unsere Zukunft kann nur in einem friedlichen und gleichberechtigten Miteinander liegen, in dem Fremdsein und Andersartigkeit akzeptiert und als Bereicherung anerkannt werden. (…)
Die Ängste und Bedrohungsgefühle, die sich in den Debatten um Leitkulturen oder Parallelgesellschaften zeigen, müssen ernst genommen werden. Wir wehren uns jedoch gegen eine Vereinnahmung dieser Ängste und gegen eine Instrumentalisierung gesellschaftlicher Konflikte für politische Zwecke. Stattdessen sind alle aufgerufen, gewaltfreie Austragungsformen für die gesellschaftlichen Konflikte und Debatten zu nutzen und zu fördern.

Für zivile Konfliktprävention und aktive Friedenspolitik

Krisenherde wie der Balkan, das Baskenland oder Nordirland zeigen uns: Auch in Europa selbst haben wir noch keinen dauerhaften Frieden erreicht. Wir Europäer/innen sind daher herausgefordert, unsere Konflikte im Innern mit gewaltfreien Mitteln zu lösen und dauerhafte Strukturen für eine zivile Konfliktprävention in Europa zu schaffen.

Nur der Aufbau einer offenen und demokratischen Zivilgesellschaft kann den Frieden fördern und garantieren, nur die Achtung von Menschenrechten und Völkerrecht kann „Sicherheit“ schaffen. Dazu benötigt Europa Strukturen und Instrumente für zivile, gewaltfreie Konfliktbearbeitung und Prävention.

Europa steht in der Verantwortung für die Eine Welt. Deshalb muss es Ziel europäischer Politik sein, ein menschenwürdiges Leben in Frieden und Freiheit für alle Menschen auf der Erde zu ermöglichen. Dazu gehört eine Weltwirtschaftsordnung, die allen Beteiligten, den Völkern und den einzelnen Menschen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht und nicht die Spaltung zwischen Arm und Reich weiter vertieft. Nur so können auch die Wurzeln des Terrorismus ausgerottet werden. Mit militärischer Gewalt wird die terroristische Gewalt nur noch mehr gefördert.

Der christliche Beitrag zur „Seele Europas“ in einem Offenen Haus Europa

Wie ist letztlich der Anspruch von Menschenrecht und Menschenwürde eines jeden Menschen so zu begründen, dass sie vor Anspruch geopolitischer und wirtschaftlicher Interessen Bestand haben können? Hier könnten die christlichen Kirchen, wenn sie nicht als Lehrmeisterinnen der Völker auftreten, sondern um die Fehlerhaftigkeit ihrer eigenen Geschichte wissen, ihren demütigen Dienst anbieten. Gesellschaft, Wirtschaft und Demokratie leben letztlich von Voraussetzungen, die sie selbst nicht schaffen und begründen können. Die letzten Begründung für die Einmaligkeit und Würde eines jeden Menschen liegt für die jüdisch-christliche Tradition in dem Schöpfungswillen Gottes begründet: Er schuf den Menschen nach seinem Bild! Auch liberale Denker respektieren diese letzte Begründung aus dem Glauben. Dieses Menschenbild gehört zur „Seele“ Europas – das gilt trotz allen Versagens des Christentums in der Geschichte.

Anmerkung:
Das Memorandum „Europa eine Seele geben“ wurde vom pax christi-Präsidium im September 2006 verabschiedet und in die Vorbereitung der Dritten Europäischen Ökumenischen Versammlung (Sept. 2007) in Sibiu/Rumänien eingebracht. Diese Auszüge (ohne Anmerkungen) wurden dem Teil 3 „Offenes Haus Europa“ entnommen.